Im Jubiläumsjahr spielen elf stolze Musikerinnen und Musiker Saxophon. Ihr findet uns übrigens unter den Registerbildern. Das geschwungene Horn aus Messingblech mit über zwanzig Klappen und Polstern wurde 1840 von Adolphe Sax in Belgien erfunden. Da der Ton mit einem Holzblättchen erzeugt wird, zählt es zu den Holzblasinstrumenten. Zunächst wurde es vor allem in Sinfonieorchestern und in der Militärmusik eingesetzt. Aufgrund seiner Vielseitigkeit war es bald in vielen Musikgenres zuhause. Besonders beliebt war und ist das Saxophon auch im Jazz. So kam es, dass das Instrument in den 1930ern in Deutschland einen schlechten Ruf bekam. Bei den Nationalsozialisten galten das Saxophon und der Jazz als entartet. Deshalb dauerte es nach dem zweiten Krieg auch eine ganze Weile, bis sich das Instrument in deutschen Orchestern und erst recht in der dörflichen Blasmusikszene etablierte. Dürfen wir Saxophonisten heute nicht nur bei konzertanter Literatur und Unterhaltungsmusik, sondern bei allen Genres und auch bei bayrisch-böhmischer Musik wie beispielsweise Polkas mitspielen, war das bis in die 1970er und 1980er eher verpönt. Das Instrument war vielen einfach zu neumodisch und außerdem aufdringlich im Klang.
Deshalb staunten wir nicht schlecht, als wir in unserem Archiv ein Foto aus den 1970ern unserer Kapelle bei einem Auftritt mit einem Saxophonspieler fanden. Auf dem Foto war Andreas Theierl abgebildet, der mit seinem Altsax nicht nur in einer Tanzband, sondern wirklich in der Gesamtkapelle bei einem Auftritt mitspielte. Andreas Theierl ist inzwischen verstorben, aber wir konnten mit seinem Sohn Fritz Theierl und seiner Tochter Fini Grießmann sprechen.
Andreas wurde 1908 in Muttersdorf, einer tschechischen Gemeinde im Egerland geboren. Dort lernte er ab den 1920ern das Klarinette Spielen und wurde 1925 Mitglied in der heimischen Kapelle. Bald spielte er auch aufgrund seiner musikalischen Begabung in einer tschechischen Militärkapelle mit. Er wollte unbedingt auch ein eigenes Saxophon haben. Die Gagen für die Auftritte sparte Andreas eifrig und konnte sich Anfang der Dreißigerjahre sein Altsaxophon der Marke Adolf Rölz leisten – einem tschechischen Hersteller, der in Graslitz Saxophone baute. Zum Üben ging Andreas mit dem angeblich „quietschenden und lauten“ Instrument in den Wald. Bald spielte er neben der Klarinette auch Saxophon in der Militärkapelle.
Doch dann kam der zweite Weltkrieg und riss nicht nur ein musikalisches Loch in Andreas Leben. Aus der Kriegsgefangenschaft kam er 1948 nach Geisenried, wie zuvor bereits seine Frau Theresia und die vier Kinder Franz, Fini, Sepp und Fritz sowie 257 weitere Heimatvertriebene. Die Theierls fanden bei der Familie Freudling eine Bleibe. Kaum, dass bekannt war, dass Andreas Musiker war, wurde er schnell in die Musikkapelle Geisenried integriert. Ob er seine eigene Klarinette mitbrachte oder über den Verein ein Instrument erhielt, konnten wir nicht herausfinden. Spannend ist aber, dass seine Schwägerin Anfang der Fünfziger das geliebte Saxophon in einer nicht ungefährlichen Aktion über die Grenze nach Deutschland schmuggelte.
Die Grenze zwischen Bayern und der damaligen CSSR (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) wurde im Rahmen der internationalen Blockbildung zum „Eisernen Vorhang“ umgestaltet, der auf tschechoslowakischer Seite massiv abgesichert war. Mutig trug die Schwägerin das Instrument ohne Koffer unter dem Mantel und reiste mit dem Zug von Pilsen nach Furth im Wald in die BRD ein. Ein Besuch war ihr erlaubt, danach musste sie wieder zurück. Wäre sie erwischt worden, hätte ihr die Gefängnisstrafe gedroht. Aber die waghalsige Aktion gelang. So kam das Saxophon nach Geisenried zurück zu seinem stolzen Besitzer Andreas. Ein Musikerkollege, Ernst Lipps, baute ihm den Koffer mit der roten Ummantelung. Froh sein Instrument wieder zu haben, musste es natürlich auch in der Musikkapelle gespielt werden. Und so kam es, dass Andreas bereits in den Fünfzigern neben der Klarinette natürlich vor allem bei Tanz- und Unterhaltungsmusik auf das Altsax wechselte. Der damalige Dirigent der Kapelle, Josef Filser, spielte selbst Klarinette und fand ebenfalls Gefallen am etwas größeren und damit tiefer klingenden Tenorsaxophon. Gemeinsam mit Andreas Theierl, Ernst Lipps am Schlagzeug und Xaver Martin am Akkordeon gründete Josef Filser die Tanzband „Die Dorfschwalben“. Diese Band spielte in Geisenried und Umgebung bei Hochzeiten und ähnlichen Anlässen zum Tanz auf.
Außer Frage steht, dass Andreas durch die Musikkapelle Geisenried besonders schnell Anschluss im Dorf fand. Ulrich Freudling sammelte mit ihm Holz bei den Bauern für den Hausbau von Andreas. Da er als Maurer bei der Firma Xaver Schmid arbeitete und ihm auch einige Musiker wie Johann Hänsle tatkräftig halfen, konnte er bereits 1950, also nur zwei Jahre nach seiner Ankunft, sein eigenes Haus in Geisenried "Am Wolfsgalgen" bauen.
Gemeinsam mit dem damaligen Dirigenten und inzwischen auch Freund Josef Filser wurde er im Jahr 1975 für 50 Jahre aktiver Musikant im Gasthaus Stocker geehrt. Im Juni 1996 starb Andreas Theierl, dankbar in Geisenried mit seiner Familie eine neue Heimat gefunden zu haben.
Sein Altsaxophon ist übrigens tatsächlich noch vorhanden und gehört nun seinem Enkel Jürgen Grießmann. Jürgen, natürlich stolz auf den Opa, hat das Saxophonspielen selbst einmal versucht und dann das musikalische Talent aber doch lieber an seinen und Alexandras Sohn Kevin weitergegeben: Kevin ist Andreas Urenkel, Mitglied unserer Kapelle und ihr findet ihn bei den Registerbildern unter den Trompetern.
Auch das Tenorsaxophon von Josef Filser wurde selbstverständlich in Ehren gehalten und befindet sich im Besitz der Familie von Dietmar Filser, Enkel von Josef Filser und Tenorhornspieler in unserer Kapelle. Michaela Grandl durfte Anfang der 1990er drei Jahre lang das Saxophonspiel auf eben diesem Instrument erlernen und spielt auch heute noch Tenorsaxophon. Auf jeden Fall sind wir elf heutigen Saxophonspieler stolz darauf, dass unser Instrument bereits seit über 70 Jahren in der Kapelle vertreten ist.